Geschrieben von Theo Wilke, Kreiszeitung
27. Dezember 2016
„Made in Twistringen“ auf hoher See
Individuelles, außergewöhnliches Handwerk, das eine Ideenschmiede in Borwede hervorbringt: Von Spielzeug, Schmuckschatullen und Einrichtungs-Sonderlösungen bis zu lebensrettenden Brandschutzelementen für Kreuzfahrtschiffe und speziellem Mobiliar auf millionenteuren Yachten. Wer ahnt schon als Gast auf der Aida, dass er mit Produkten „Made in Twistringen“ an Bord seinen Urlaub auf den Weltmeeren verbringt.
Brandschutzelemente für Kreuzfahrtschiffe (v.l.) Wolfgang Sichert, Manuela Albert und Michael Kern. © Wilke
In der Werkstatt des Unternehmen Pohlmann Objekteinrichtungen an der B 51 werden seit Jahren nicht nur individuelle Möbel für Kunden auf dem Festland realisiert, sondern zumeist Sonderlösungen entwickelt. Die Firma mit mehr als 20 Beschäftigten setzt im Jahr rund 1,5 Millionen Euro um.
Im November 1997 begonnen, geriet der Betrieb im April 2004 in die Insolvenz, als sich das Prestige-Kreuzfahrtschiff Pride of America im Hafenbecken der Lloyd Werft in Bremerhaven im Sturm auf die Seite legte und versank. Dies bedeutete für viele Zulieferer das finanzielle Aus. Daran können sich die Geschäftspartner Udo Pohlmann (50) und Wolfgang Sichert (51) gut erinnern. Die Beiden haben sich damals nicht unterkriegen lassen. In Borwede glückte ihnen der Neuanfang.
Bandbreite von Showküche bis Megayacht
Der Betrieb Pohlmann ist heute gefragter Experte für Einrichtungen, bei denen besondere Fertigungstechniken einer Vielzahl unterschiedlichster Materialien eingesetzt oder spezielle Ansprüche (Brandschutz, Wasserfestigkeit, extreme Stabilität) gefordert werden.
Die Bandbreite reicht von Saunaeinrichtungen über Erlebnis-Showküchen, Kapitänsständen sowie Technikräumen auf Megayachten und Militärschiffen bis zur kompletten Realisierung von Räumen für Privatiers, die Besonderes sammeln oder die mal ganz was Besonderes haben möchten.
Wolfgang Sichert mit einem Hingucker, Geschenkschatulle. © Wilke
1992 war Wolfgang Sichert, Oberfeldwebel des Luftwaffentransportgeschwaders in Diepholz, auf der Suche nach einer Treppe und Zimmertüren für sein Haus in Heiligenloh. Da traf er auf Udo Pohlmann. Dass „Udo ein super Fachmann ist“, habe er gleich entdeckt, erinnert sich Sichert, selbst gelernter Tischler. Pohlmann, einst mit der Familie nach Borwede gezogen, war nach seinem Realschulabschluss, drei Jahren Lehre und zwei Jahren Abendschule mit 23 der jüngste Tischlermeister in der Region.
Jungunternehmer suchten neue Herausforderungen
In Borwede übernahm er mit Vater Walter nach dem Tod des Vorbesitzers dessen Zimmerei und Bautischlerei an der B 51. Zunächst wollten sie nur mieten. „Die Maschinen standen noch in der Werkstatt, aber sie waren uralt“, so Pohlmann.
Später tat er sich mit Wolfgang Sichert zusammen. Anfangs erledigte man Restaurationen und Trockenbau. Sichert: „Wir haben uns Gedanken gemacht.“ Eigentlich betrieben sie keine normale Tischlerei. Die Jungunternehmer suchten neue Herausforderungen und wollten auf besondere Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen. Die Sparte Innenausbau ist heute breit gefächert. Die Handwerker nutzen viele Materialien, neben Holz auch Alu und Edelstahl sowie Kupfer und Messing. Lackierungen, Brand- und Schallschutz zählen zu ihren Stärken.
Am Computer, der Ehrenburger André Bollenhagen. © Wilke
„Mit Tatendrang, Ehrgeiz und unseren Fähigkeiten“, betont Sichert, packen sie auch gerne Projekte an, die nicht Standard sind. Stolz erzählt Udo Pohlmann davon, wie sie für sich das sogenannte Postforming entdeckten und weiterentwickelten. Das bedeutet, dass man hartes, widerstandsfähiges Beschichtungsmaterial so formen kann, wie es eigentlich nur mit weichen empfindlichen Beschichtungen möglich ist. Der Vorteil: weiche Optik – aber harte Oberfläche. Das können Klinikeinrichtungen, Büro- oder Schiffsmöbel sein. Pohlmann: „Damit sich bei stärkerem Seegang niemand an scharfen Kanten verletzt, Kantenfugen vermieden werden und es eine tolle Optik ergibt.“
Die Borweder fertigten Sitz- und Studierlandschaften für die Uni in Jena an. In Neuss sorgten sie für die optimale Akustik in der Musikschule. Die Chefs erinnern sich auch an sehr spezielle Aufträge, etwa an die ausgefallenen Wünsche für eine Segelyacht in der Karibik. Der Eigner wollte besondere Toilettengarnituren aus einem bestimmten Material und in einer eigenen Form haben. Mehr verraten die kreativen Köpfe nicht. Geschäftsgeheimnis.
Mitarbeiter reisen rund um den Erdball, um Sicherheitsprodukte selbst einzubauen, etwa auf dem Kreuzfahrtschiff World of the Seas. Sie fliegen sogar nach Korea. Schlosser Maik Horstmann war schon in Japan, Holland, Cannes oder Marseille.
Liegende Vitrine für Feiertage
„Made in Twistringen“ ist auch glasfaserverstärkter Kunststoff für namhafte deutsche Autobauer. Oder das Pohlmann-Team entwickelt einen futuristischen 17 Meter langen Cebit-Messestand für eine großen deutschen Telefonanbieter. Sieht aus wie eine Carrerabahn.
„Wir haben schon für alle Aida-Schiffe gearbeitet“, fügt Sichert hinzu. Was die Firma anfertigt, ist für Otto Normalverbraucher, pardon: Kreuzfahrtgäste, nicht sofort sichtbar: Blätter für Brandschutztüren, versteckt in den Bordwänden – mit speziellem Motorantrieb, der auch bei extremer Schräglage ausgleichend wirkt. 500 bis 800 dieser Brandschutzelemente werden jährlich gefertigt.
Entworfen werden neue Produkte am Computer in Borwede, in der Werkstatt und in der Produktionshalle im Twistringer Industriegebiet umgesetzt. Ein origineller Auftrag 2016: zwei Meter hohe künstliche weiße Bäume fürs Foyer eines in Frankreich gebauten Kreuzfahrtschiffes. Die Experten aus Borwede haben sogar schon ein Gefängnis in Niedersachsen ausgestattet, auch Kirchenmobiliar in Marhorst und Twistringen erneuert.
Spezielle Eigenprodukte sind eine weitere Geschäftsschiene, etwa die Schatulle als Geschenkidee – aus einem Kunststein, in 3D gefertigt. Die Oberfläche sieht aus, als sei ein Tuch über ein Motiv gelegt. Daneben fällt ein Tisch mit einem Glaskasten ins Auge. Wie eine liegende Vitrine. Sichert: „Die eignet sich auch für Geburtstage“, bestückt mit Eisenbahnzug oder Buchstaben aus Lego.